Waren sadomasochistische Sexpraktiken vor wenigen Jahren noch ein Thema, das am Rand der Gesellschaft verortet worden ist und worüber man lieber nicht laut gesprochen hat, hat spätestens die Buchreihe „Fifty Shades Of Grey“ von E.L. James ein ganz neues Licht auf diese Art der Sexualität geworfen. Geheimnisvoll, faszinierend, aufregend und sinnlich wirkt heute, was ehemals in der Öffentlichkeit als bizarr und absonderlich betrachtet worden ist.
Dabei ist die Positivierung der sadomasochistischen Sexualität fast eine Befreiung, wenn man bedenkt, dass die sexuelle Unterwerfung zu den häufigsten Sexfantasien zählt. Endlich wissen unzählige Menschen, die ihre erotischen Gedanken jahrelang verheimlicht haben, dass sie mit ihren Fantasien nicht alleine sind, können viel offener mit ihren Wünschen umgehen und sie – wenn sie denn wollen, denn manche Fantasien sollen ja auch bewusst Fantasien bleiben – auch leichter umsetzen.
Sadomasochismus: Begriffe, Verhaltenskodex, Rollenmodelle
Es gibt zwei Begriffe, die meist synonym verwendet werden: Sadomasochismus und BDSM. Letzteres ist ein Akronym bestehend aus Begriffen wie Bondage & Discipline (BD, übersetzt Fesseln und Disziplin), Dominance & Submission (DS, übersetzt Dominanz und Unterwerfung) und Sadism & Masochism (SM). Die Wörter Sadismus bzw. Sadism und Masochismus bzw. Masochism haben einen literarischen Ursprung und werden abgeleitet von den Autoren Marquis de Sade und Leopold Ritter von Sacher-Masoch, deren in der Mitte des 20. Jahrhunderts veröffentlichte Bücher sadomasochistische Sexpraktiken zum Inhalt hatten.
Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine komplexe BDSM-Subkultur gebildet, mit eigenem Verhaltenskodex und eigener Sprache. Die Menschen, die BDSM ausüben, nehmen in der Regel zwei gegensätzliche Rollen ein: Die einen sind dominant und werden als Top oder Dom bezeichnet, die anderen sind unterwürfig, nehmen die Rolle des Bottom oder Sub ein. Außerdem gibt es die sogenannten Switch, die gerne zwischen den beiden Rollen wechseln. Der oberste Grundsatz der Sadomaso-Szene ist die Freiwilligkeit. Für den Fall, dass der:die unterwürfige Partner:in mit etwas, das ihm:ihr zugefügt wird, nicht einverstanden ist, muss ein Signalwort vereinbart werden, das dem:der dominanten Partner:in unmissverständlich deutlich macht, aufzuhören.
Unterwerfung, Kontrollverlust, Schmerzen – Die sadomasochistischen Sexfantasien
Bei SM-Sexfantasien kommen den meisten Menschen Assoziationen wie Fesselspiele, Dominas mit Peitschen und erotische Lack- und Leder-Kostüme in den Sinn. Das ist, wofür die SM-Szene in der Öffentlichkeit bekannt ist und all das sind natürlich auch Bestandteile von ihr.
Sadomasosex beginnt aber nicht im Kostüm, mit Peitsche im verruchten SM-Club, sondern schon bei kleinen Spielereien, die beim Sex für ein gewisses Ungleichgewicht sorgen – dafür, dass eine:r der beiden Partner:innen die Kontrolle abgibt, sich gewissermaßen unterwirft. Dazu gehört zum Beispiel, einem:einer von beiden die Augen zu verbinden oder die Hände oder Füße aneinander oder ans Bett zu fesseln.
Schmerzen sind für viele Menschen, die SM-Praktiken ausüben oder von ihnen fantasieren, eine starke Quelle der Lust. Das muss nicht gleich in „Edge Plays“ enden, ein Begriff, der in der SM-Gemeinde für Sexspiele mit Klingen, Nadeln, Kanten und vergleichbaren Gegenständen verwendet wird und sowohl wörtlich als „Spiel mit Schneiden/Kanten“ als auch im übertragenen Sinne als „Spiel mit Grenzen“ übersetzt werden kann.
Auch Schläge auf den Po, das sogenannte Spanking, sind bereits eine Handlung, die den:die Sexpartner:in unterwirft und ihm auch leichte Schmerzen zufügt – und dementsprechend sowohl für dominante, wie auch wie unterwürfige Menschen sehr reizvoll sein kann. Ebenso wie zum Beispiel das Begießen des:der Partners:Partnerin mit heißem Kerzenwachs, was in der BDSM-Szene als „Waxplay“ bezeichnet wird.
SM-Praktiken ohne Sex
Sadomasochismus ist definitiv sexuell konnotiert, aber sadomasochistische Praktiken und Fantasien beinhalten nicht zwangsläufig auch Geschlechtsverkehr. Stattdessen werden sexuelle Befriedigung und Orgasmen häufig anders, eben im Rahmen des dominant-unterwürfigen Verhältnisses zueinander, herbeigeführt.
Es ist aber auch nichts Ungewöhnliches im BDSM, während einer sogenannten Session, wie die Treffen zweier oder mehrerer SM-Partner:innen genannt werden, auf das Aufbauen klassischer Lust, zum Beispiel durch Stimulation der Geschlechtsorgane, komplett zu verzichten. Stattdessen stehen dann andere Varianten der Lust im Vordergrund, der Lustschmerz auf der einen und die Lust der Machtausübung auf der anderen Seite. Sie können sowohl emotional, als auch körperlich sehr intensiv sein und Menschen, die diese Gefühle sehr genießen, fühlen sich in diesen Momenten von der klassischen sexuellen Lust oder gar einem Orgasmus nur in ihrem Genuss gestört.
Die Trennung zwischen SM und Sex spielt außerdem bei vielen Menschen eine Rolle, die eine feste Liebesbeziehung ohne BDSM führen, weil ihr:e Partner:in damit nichts anfangen kann. Sie leben ihre sadomasochistischen Neigungen dann mit anderen Partner:innen – in der SM-Sprache häufig auch Spielgefährt:innen genannt – aus, während der Geschlechtsverkehr dem:der Partner:in vorbehalten bleibt.
Was reizt die Menschen am BDSM?
Sexualität ist immer mit zwischenmenschlicher Nähe verbunden, egal ob auf rein physischer, oder auch auf emotionaler Ebene. Sadomasochistische Praktiken aber, bedeuten für die Menschen, die sie lieben, eine noch tiefere Hingabe an ihre:n Partner:in – egal, ob sie sich als „Sub“ fallen lassen oder als „Dom“ über ihre:n Partner:in bestimmen.
Auch das besondere Maß an Vertrauen, das bei BDSM-Praktiken umso wichtiger ist, je außergewöhnlicher und extremer sie werden, ist ein entscheidender Faktor dafür, dass manche Menschen es sogar genießen können, wenn ihre Haut mit Klingen geschnitten oder ihnen die Luft zum Atmen kurzzeitig genommen wird. Denn hier legen sie ihre Unversehrtheit in die Hände einer anderen Person – und lieben das bestätigende Gefühl, dass ihnen letztendlich nichts passiert, so sehr, dass es sie sexuell erregt.
Andere Menschen erleben Lustempfinden, wenn sie sich – körperlich oder emotional – herausfordern, an ihre Grenzen bringen und auf diese Weise einen Adrenalin-Kick erfahren. Im BDSM finden sie unzählige Möglichkeiten für einen solchen Kick.
Doch letztendlich wird jeder Mensch, der gerne Sadomasochismus praktiziert, diese Frage nach dem Reiz anders beantworten. Jeder hat seine eigenen Vorlieben und ebenso seine eigenen Beweggründe dafür. Fakt ist aber, dass SM ein spannendes Thema ist, über das zwar endlich offen gesprochen, das aber dennoch nur unzureichend erklärt werden kann. Was wirklich dazu gehört und dahintersteckt, ist und bleibt ebenso individuell wie der Reiz daran.