Wenn du im Erwachsenenalter noch niemals Sex hattest, wirst du dir vielleicht häufig vorkommen wie ein:e Außenseiter:in, wird doch in unserer Gesellschaft – ob in den Medien oder im persönlichen Umfeld – häufig suggeriert, jeder hätte Sex.
Aber das stimmt nicht: In Wirklichkeit hatten viele Erwachsene noch niemals Sex, und das sind mitnichten nur Nonnen und Priester, sondern ganz normale Leute – tendenziell vielleicht eher schüchterner als andere – , deren Leben ihnen einfach noch nicht die Möglichkeit gegeben hat, mit einem anderen Menschen zu schlafen. Das ergeben viele Untersuchungen, Umfragen und Studien, auch wenn es keine konkreten oder gar einheitlichen Zahlen gibt. Wenn du also im Erwachsenenalter noch Jungfrau bist, gehörst du zwar zu einer Minderheit, aber bist keineswegs allein. Trotzdem ist es für Erwachsene meist viel schwieriger, sich an ihre Sexualität heranzutasten, als für Jugendliche.
Warum ist das Erste Mal im Erwachsenenalter oft so ein heikles Thema?
Wenn junge Menschen im Teenageralter ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln, ist es vollkommen selbstverständlich, dass sie unerfahren sind. Oft sind sind in den Beziehungen zwischen Jugendlichen beide Partner:innen noch Jungfrau und machen ihre ersten Erfahrungen gemeinsam.
Dass der:die Sexualpartner:in auch keine oder zumindest wenig Ahnung von Sex hat, ist bei Jugendlichen etwas, worauf sie sich weitgehend verlassen können und das gibt natürlich – trotz dem Erwartungsdruck, der Versagensangst, der Nervosität, die beim ersten Sex sicherlich fast immer eine Rolle spielen – auch ein großes Maß an Sicherheit.
Erwachsene haben diese Sicherheit nicht. Im Gegenteil: Lernen Erwachsene eine Person kennen, mit der sich eine Partnerschaft anbahnt, gehen fast alle davon aus, dass Sexualerfahrungen vorhanden sind. Ist das aber bei dir nicht der Fall, so ist es gut verständlich, dass du nicht nur Angst davor hast, etwas falsch zu machen und dich vor deinem:deiner Partner:in blöd anzustellen, sondern auch davor, deine Unerfahrenheit offen zu kommunizieren, weil er:sie dich dann als „Sonderling“ abtun könnte. Kommen noch persönliche Ängste vor Intimität und Nähe dazu, die womöglich mit ein Grund sind, warum du noch niemals mit jemandem geschlafen hast, wird die Vorstellung vom Ersten Mal, das du dir ja eigentlich wünscht, plötzlich ganz und gar angsteinflößend. Und das ist schade, denn das Erste Mal soll in schöner Erinnerung bleiben und Lust machen auf ein zweites, drittes und nächstes Mal.
Spiele mit offenen Karten
„Ich bin noch Jungfrau.“ Je älter du bist, umso schwerer wird dir dieser Satz vielleicht über die Lippen gehen, aber trotzdem: Wenn du drauf und dran bist, mit jemandem eine Beziehung einzugehen, dann musst du deine Unerfahrenheit kommunizieren, um deinem:deiner Partner:in einen angemessenen Umgang mit dir zu ermöglichen. Wenn er:sie weiß, dass Sex für dich Neuland ist, wird er:sie sich an seine:ihre eigenen ersten unsicheren Schritte in Richtung Sexualität erinnern und sich behutsamer an eure gemeinsame Sexualität herantasten.
Auch für dich selbst nimmt es viel Druck aus der Situation, wenn dein:e Partner:in Bescheid weiß: Du „darfst“ Dinge nicht wissen, nachfragen, dich etwas ungeschickt anstellen und nervös sein. Du musst dich weder erklären, noch verstecken.
Bereite dich alleine auf dein Erstes Mal vor
Bevor du mit deinem:deiner neuen Partner:in schläfst, kannst du dich alleine auf den Sex vorbereiten. Wie ein Orgasmus sich anfühlt, weißt du vielleicht schon vom Selbstbefriedigen. Wenn nicht, wird es höchste Zeit, es herauszufinden. Hast du außerdem mal deine Geschlechtsorgane im Spiegel betrachtet? Tue es, denn dein:e Partner:in wird diese Perspektive auch früher oder später einnehmen und es wird dir Sicherheit geben zu wissen, was er:sie gerade sieht. Du kannst auch erkunden, welche Bewegungen dazu führen, dass du langsam und intensiv erregt wirst und welche dich die Kontrolle verlieren lassen, sodass du sofort kommst. Dich alleine intensiv mit deiner Sexualität zu befassen, das spannende und doch etwas befremdliche Neuland alleine zu betreten, macht dich schon erfahrener, bevor du das erste Mal mit einem anderen Menschen Sex hattest, und deinem:deiner Partner:in wird es sicherlich helfen, entspannt mit dir Sex zu haben, wenn du schon ein wenig weißt, was dir gefällt und was nicht.
Verzichte dabei aber am besten auf Pornofilme, denn die wecken oft einen großen Erwartungsdruck. Pornodarsteller:innen sind optisch meist makellos und scheinen den besten Sex überhaupt zu haben. Aber auch wenn der Sex in Pornofilmen natürlich nicht gestellt ist, so sind es doch Schauspieler:innen, die hier vor der Kamera stehen. Es kann erregend sein, ihnen zuzusehen, aber als Anfänger:in können sie in dir auch die Angst wecken, es im eigenen Bett nicht so gut hinzubekommen. Erst wenn Sex in deinem Leben mehr oder weniger integriert ist, wirst du merken, dass Sex nicht perfekt ist und trotzdem Spaß macht, ohne dass es so aussehen muss wie in Pornofilmen.
Was Literatur über Sex angeht, lies ruhig ein paar Aufklärungsbücher, selbst wenn sie eher an Jugendliche adressiert sind, so wie „Make Love“ von Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszewski oder „Wild Thing“ von Paul Joannides. Sie sind oft sehr einfühlsam und informativ. Oder lies wissenschaftlich aufbereitete Bücher wie „Sex. Die ganze Wahrheit“ von Pere Estupinya. Aber Bücher über Sexpraktiken, Stellungen und Ähnliches kannst du dir für ein späteres, fortgeschritteneres Stadium deines Sexlebens aufheben.
Das Erste Mal muss nicht der beste Sex deines Lebens sein
…und der deines:deiner Partners:Partnerin auch nicht. Selbst wenn zwei Menschen schon sexuelle Erfahrungen haben, ist der erste gemeinsame Sex eines frischgebackenen Paares oft etwas holprig. Man kennt die Vorlieben und Gewohnheiten des:der anderen nicht und kommt ihm:ihr zum ersten Mal maximal nahe, möchte natürlich auch einen guten Eindruck hinterlassen, und so ist Nervosität fast immer im Spiel.
Schön soll dein Erstes Mal natürlich schon sein, du sollst die einzigartige und neue Intimität genießen, aber du musst weder extravagante Stellungen präsentieren können, noch deine:n Partner:in auf alle möglichen Weisen befriedigen oder – als Mann – besonders lange durchhalten. Du bist Anfänger:in und das ist in Ordnung. Vielleicht spielst du Klavier, Gitarre oder ein anderes Instrument? Dann war dein erstes Stück bestimmt auch etwas wie „Alle meine Entchen“ und nicht eine Komposition von Beethoven oder Carlos Santana.
Auch dein:e Partner:in, der:die ja weiß, dass du unerfahren bist, wird sich freuen, wenn du dein Erstes Mal mit ihm:ihr genießen kannst und nicht die Erwartung haben, den Sex seines:ihres Lebens zu haben. Also: Beweg dich so langsam und behutsam, wie du es brauchst. Frag ruhig das eine oder andere Mal (aber nicht ständig) nach, ob das, was du tust, gut ist. Verwende die einfache Missionarstellung. Nimm Pannen mit Humor. Und zähle nicht die Minuten, wie lange du durchhältst, denn das ist Übungssache und erstmal vollkommen egal.
Verschiebe es, wenn du merkst, dass es nicht klappt
Ihr habt euch vorgenommen, heute miteinander zu schlafen oder seid gerade in einer Stimmung, in der dein:e Partner:in gerne mehr möchte, aber du merkst, dass du einfach nicht bereit dazu bist. Das ist vielleicht schade, aber da kann man nichts machen und du solltest nichts erzwingen, sondern dein Erstes Mal verschieben. Deshalb musst du dich nicht gleich anziehen und nach Hause gehen. Ihr könnt stattdessen kuscheln und euch küssen. Oder ihr sprecht in der vertrauen Atmosphäre des Bettes über deine Ängste. Oder du bringst deine:n Partner:in ohne Penetration zum Höhepunkt, gerne auch mit seiner:ihrer Hilfe. Ihn:Sie in höchster Ekstase zu sehen, ausgelöst durch deine Hand oder deinen Mund, wird sicherlich ein wunderschöner Erfolgsmoment für dich sein, der dir Mut macht und euch einander noch näher bringt.
Mache kleine Schritte, wenn du ein Problem mit Nähe hast
Manchmal geht es ganz schön schnell zwischen Erwachsenen: Gerade erst kennengelernt, landen sie schon beim zweiten oder dritten Date miteinander im Bett. Wenn dir das viel zu schnell geht und du deine:n neue:n Partner:in zwar sehr magst, aber einfach noch nicht genug Vertrauen da ist, um sich ihm:ihr so bald nach dem Kennenlernen ganz hinzugeben, solltest du nichts tun, was dir Unbehagen bereitet, sondern mit kleinen Schritten immer mehr Intimität zulassen.
Leider sind nicht alle Menschen bereit, sich für einen anderen Menschen Zeit zu nehmen und sich seinem Tempo anzupassen, wenn dieser es mit der Sexualität langsam angehen möchte. Ganz besonders dann, wenn jemand selbst schon viele Sexerfahrungen hat, wird er:sie womöglich ungeduldig werden und dir vermitteln, du würdest dich „anstellen“.
Aber lass dich nicht unter Druck setzen, denn so wirst du Sex kaum genießen können und schlimmstenfalls vielleicht sogar ein traumatisches und schmerzvolles Erstes Mal erleben. Wenn dein:e Partner:in nicht bereit ist, sich mit deinen Problemen auseinander zu setzen und sich deinem Tempo anzupassen, dann ist er:sie womöglich nicht er:die Richtige für dich.
Es gibt deutschlandweit eine Gruppe, an die du dich online herantasten kannst. Sie nennt sich „Absolute Beginners“ und hier findest du Erwachsene mit kaum bis gar keiner Beziehungs- und Sexerfahrung. Viele von ihnen wissen genau, wie du dich fühlst. Vielleicht findest du hier eine:n Partner:in, mit dem:der du auf einer Wellenlänge bist und ihr habt am Ende sogar beide euer Erstes Mal miteinander.
Und: Zwar sprechen wir hier beim „Ersten Mal“ von der Penetration, aber das heißt nicht, dass Penetration die einzige Art von Sex ist und auch nicht, dass nur Sex mit Penetration „wahrer Sex“ ist.