In den meisten Beziehungen steht früher oder später das Zusammenziehen an. Es ist ein großer Schritt für euch beide, egal ob ihr noch sehr jung und gerade dabei seid, bei euren Eltern auszuziehen, oder ob ihr aus einem Single-Haushalt kommt und womöglich schon das eine oder andere Zusammenleben mit einem:einer Partner:in hinter euch habt. Dabei verspricht das Zusammenleben mehr Nähe, mehr Intimität, aber birgt auch immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Wie könnt ihr erfolgreich zusammenziehen und dauerhaft harmonisch miteinander leben?
Der gemeinsame Alltag: Du lernst neue Seite an deinem:deiner Partner:in kennen
Wenn zwei Menschen zusammenziehen und sich von nun an den Alltag und das Zuhause teilen, lernen sie Seiten aneinander kennen, die ihnen vorher ganz oder teilweise verborgen waren. Wer sich mit seinem:seiner Partner:in trifft, kann einige seiner Bedürfnisse zeitweise zurück stellen. Im eigenen Zuhause jedoch möchte jeder Mensch früher oder später ganz er selbst sein dürfen, und so werden sich dir Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen deines:deiner Partners:Partnerin offenbaren, die dir vorher vielleicht gar nicht bewusst waren – selbst dann, wenn die Beziehung schon Jahre dauert.
Auch die Alltagsverpflichtungen können meist warten, wenn sich ein Paar aus getrennten Haushalten trifft. Im gemeinsamen Haushalt können sie nicht warten – da muss man sich ihnen plötzlich gemeinsam stellen, sich miteinander organisieren und sich auch dem Stress und den Ärgernissen, die das alltägliche Leben einfach manchmal mit sich bringt, gemeinsam stellen.
Dass es dann – gerade anfangs – zu Uneinigkeiten oder Konflikten kommt, sobald das Paar unter einem Dach wohnt, ist ganz normal, solange sie sich in Grenzen halten und sich die ehemals Liebenden nicht sprichwörtlich ständig „an die Gurgel gehen“.
Akzeptiere die Schwächen deines:deiner Partners:Partnerin, denn niemand ist perfekt
Vielleicht bedeutet das Zusammenziehen für dich eine Entzauberung deines:deiner Partners:Partnerin, der:die dir bislang geradezu perfekt vorgekommen ist. Plötzlich merkst du, welche Schwächen dir bislang verborgen geblieben sind, und vielleicht hast du früher die eine oder andere davon sogar als „No Go“ betrachtet.
Akzeptiere diese Schwächen und vermeide es, deine:n Partner:in ständig dafür zu kritisieren, denn Zuhause sollte sich jeder ungehindert ausleben dürfen. Wenn dich die eine oder andere Eigenschaft so sehr belastet, dass du dadurch selbst in deiner Freiheit eingeschränkt wirst, müsst ihr im Gespräch nach einem Kompromiss suchen. Denn das Grundgesetz gilt natürlich auch im Paarhaushalt: Die persönliche Freiheit des einen endet dort, wo sie die Freiheit eines anderen einzuschränken beginnt.
Sende deutliche Ich-Botschaften an deine:n Partner:in, wenn du ihm:ihr erklären möchtest, womit du nicht zurechtkommst. Sie wirken meist weniger angreifend und vorwurfsvoll als Du-Botschaften. Ein Beispiel: „Ich finde den Qualm in der Wohnung sehr belastend und habe Probleme zu atmen“ klingt friedlicher als „Es geht gar nicht, dass du in der Wohnung rauchst!“
Macht eine Generalprobe im Zusammenwohnen
Hast du mit deinem:deiner Partner:in schon eine längere Zeit in einer gemeinsamen Wohnung verbracht, zum Beispiel bei dir oder ihm:ihr, hast du schon einen Vorgeschmack darauf erhalten, wie es ist, dauerhaft mit ihm:ihr zusammenzuleben und wie sich die Beziehung dadurch wahrscheinlich verändern wird. Bevor ihr also den entscheidenden Schritt macht und wirklich unter ein Dach zieht, bietet es sich an, für einige Wochen in deiner oder seiner:ihrer Wohnung eine „Generalprobe“ zu machen, während der:die andere von euch seine Wohnung noch behält.
Im gemeinsamen Heim muss sich jeder zuhause fühlen
Zusammenziehenden Paaren wird häufig empfohlen, beide Haushalte aufzugeben und sich gemeinsam eine ganz neue Wohnung zu suchen. Das ist heutzutage gar nicht so leicht umzusetzen, denn der Wohnungsmarkt ist seit Jahren von Knappheit geprägt. Warum also soll man sich den Stress machen, eine neue Wohnung zu suchen, wenn ihr auch zu dir oder zu ihm:ihr ziehen könnt?
Es geht dabei eigentlich nur darum, dass ihr beide euch zuhause fühlen müsst. Niemand soll sich im neuen Zuhause als Dauergast oder Fremder fühlen, und das geht auf dem neutralen Boden einer neuen Wohnung letztendlich am besten.
Ihr könnt euch aber auch für eine der beiden Wohnungen entscheiden und die Einrichtung so verändern, dass der:die hinzukommende Partner:in einige Möbelstücke aus seinem:ihrem aufgelösten Zuhause mitbringt. Dann gestaltet ihr die Wohnung gemeinsam neu.
Gebt euch gegenseitig die Möglichkeit, euch als Individuen auszuleben
Egal wie sehr ihr euch liebt und euch danach sehnt, so viel wie möglich zusammen zu sein: Jede:r von euch ist ein Individuum und braucht – der:die eine mehr, der:die andere weniger – seinen Freiraum und Zeit mit sich selbst. Alleine zu sein ist für jeden Menschen wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, wie Franziska Muri in ihrem Buch „21 Gründe, das Alleinsein zu lieben“ eindrucksvoll erklärt, und es sollte im gemeinsamen Leben unter einem Dach mit deinem:deiner Partner:in für euch beide nicht zu kurz kommen.
Deshalb sind Rückzugsorte wichtig, damit jeder von euch mal alleine sein und das tun kann, wonach ihm:ihr gerade ist. Im Idealfall hat jeder ein eigenes Zimmer, doch das ist leider nicht immer möglich. Habt ihr nur ein gemeinsames Wohnzimmer oder müsst sogar in einer Ein-Zimmer-Wohnung leben, müsst ihr anders dafür sorgen, dass ihr beide euch regelmäßig in Ruhe ausleben könnt. Möchte dein:e Partner:in zum Beispiel auf seinem Klavier spielen, wird es sein:ihr Spielerlebnis sicherlich trüben, wenn du im selben Zimmer währenddessen laut fernsiehst oder telefonierst. Vielleicht kannst du dich derweil lieber in die Küche zurückziehen, jemanden besuchen, spazieren gehen oder zumindest still zuhören.
Klare Aufgabenteilung im Haushalt und Haushaltskonto beugen Streit vor
Neben dem fehlenden Freiraum ist es die Haushaltsführung, die beim Zusammenziehen besonders viel Konfliktpotenzial birgt, weil es häufig vorkommt, dass eine:r von beiden deutlich mehr im Haushalt macht und dann verletzt und gestresst ist, weil er:sie sich nicht genug unterstützt fühlt.
Um eine solche Situation gar nicht erst aufkommen zu lassen, teilt die Aufgaben im Haushalt am besten schon beim Zusammenziehen untereinander auf. Besprecht, was euch leicht fällt und was ihr überhaupt nicht gerne tut, teilt dann die Hausarbeit gerecht untereinander auf. Bei manchen Tätigkeiten, zum Beispiel Boden wischen, Staub saugen oder Fenster putzen, ist es auch sinnvoll, miteinander zu beschließen, wie häufig sie durchgeführt werden sollen, damit es niemandem von euch passiert, dass er:sie theoretisch eine Aufgabe hat, sich aber immer vor ihr drückt. Ihr könnt euren erarbeiteten Haushaltsplan schriftlich festhalten und in der Wohnung aufhängen.
Noch unangenehmer als Streitigkeiten wegen der Hausarbeit sind Konflikte aufgrund von Geld. Um ihnen vorzubeugen, könnt ihr ein gemeinsames Haushaltskonto einrichten, auf welches ihr beide einzahlt und das ihr gemeinsam verwaltet. Daneben hat jede:r von euch sein eigenes Konto, über welches er:sie frei verfügen kann.
Das Zusammenziehen kann scheitern, ohne dass die Beziehung zerbricht
Es kann passieren, dass du und dein:e Partner:in merken, dass das Zusammenleben einfach nichts für euch beide ist. Ihr liebt euch – aber zusammenwohnen geht irgendwie nicht. Das bedeutet nicht, dass die Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Manche Paare verzichten prinzipiell darauf, zusammenzuziehen. Das kann, vor allem, wenn man nicht vorhat, Kinder miteinander zu haben, ein vielversprechendes Beziehungsmodell sein. Das Gelingen einer Partnerschaft hängt von deutlich mehr ab, als davon, ob man in einer gemeinsamen Wohnung miteinander klarkommt. Der Paartherapeut Chuck Spezzano zeigt in seinem Buch „Der Himmel möchte, dass du glücklich bist!“, was in einer liebevollen Beziehung wichtig ist.
Wenn ihr bei eurer „Generalprobe“ oder dann in der gemeinsamen Wohnung also merkt, dass ihr unter einem Dach nicht glücklich seid und es zu viele Konflikte gibt, zieht einfach wieder in getrennte Wohnungen und macht euch keine Gedanken darum, was die Gesellschaft dazu sagt. Ihr könnt es später nochmal versuchen oder dauerhaft in getrennten Wohnungen miteinander glücklich sein.