Du kannst Sex nicht so richtig genießen – aber das liegt nicht an deinem:deiner Partner:in, nicht am Alltagsstress und erst recht nicht an fehlender Liebe. Sondern daran, dass du dich einfach unsexy und nicht begehrenswert fühlst. Anstatt die Intimität mit deinem:deiner Liebsten und sein:ihr Begehren auszukosten, hast du Schamgefühle und bekommst deine angeblichen Problemzonen nicht aus dem Kopf.
Schade, denn damit verpasst du die Chance auf wunderschöne, entspannte und liebevolle Momente im Bett, die ganz und gar vom Genuss und von Entspannung geprägt sind. Du musst nur begreifen, dass es auf der Welt keine Perfektion gibt – ganz egal, wie schön irgendwelche Filmstars, Models oder auch Menschen aus deiner direkten Umgebung auf den ersten Blick wirken. Auch sie haben ihre Makel und Unsicherheiten. Und wenn man sie nicht sieht, sind sie eben im Verborgenen. Gerade das individuelle Zusammenspiel unserer Makel und Vorzüge macht uns zu dem Menschen, der wir sind. Und als solcher werden wir alle – auch du – von unseren Partner:innen, unserer Familie und unseren Freunden geliebt. Also lass die Selbstzweifel nicht mit ins Bett gehen, sondern lass sie draußen oder verbann sie am besten gleich aus deinem Leben. Selbstliebe ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Sinnlichkeit und guten, entspannten und leidenschaftlichen Sex.
Perfektion bedeutet Stress – und Stress ist ein Lustkiller
Das Licht ist gedämmt, dein:e Partner:in liebkost dich und du möchtest dich fallen lassen und nur noch den schönen, warmen Moment leben. Aber stattdessen fängt es in deinem Kopf an zu rattern: Oh je, wenn ich so daliege, sieht mein Bauch total groß aus. Die Brüste hängen herunter wie nasse Waschlappen. Verzerrt sich mein Gesicht nicht total hässlich, wenn ich komme? Soll ich stöhnen, oder ist das nervig und unpassend? Bin ich für ihn:sie vielleicht zu schwer? Soll ich etwas sagen, oder klingt das dann blöd?
Aus irgendeinem Grund erwartest du von dir selbst Perfektion und eine filmreife Darstellung. Das ist total stressig und setzt dich unter Druck. Vielleicht hilft es dir, wenn du bedenkst, dass all die hocherotischen, wunderschön ästhetischen Sexszenen in Liebes- und Erotikfilmen nur gespielt sind. Dort ist keine echte Liebe, keine echte Hingabe und keine Entspannung, sondern einfach nur sehr gut gemachte Schauspielkunst. Sind die Szenen im Kasten, brauchen die Darsteller:innen sicherlich erst einmal eine Verschnaufpause, weil sie von ihrer Performance geplättet sind.
Wer guten Sex haben will, lässt die Perfektion hinter sich
Die perfekt gestylten und in ihrer Körperhaltung stets kontrollierten Hollywoodschauspieler:innen sehen sicherlich ganz anders aus, wenn sie zuhause in ihrem eigenen Bett mit ihrem:ihrer eigenen Partner:in Sex haben. Denn dort können sie sich fallen lassen und sich echter Ekstase hingeben. Niemand schaut ihnen zu, und der:die Partner:in gilt in dem Fall nicht: Sexuell erregte Menschen, die sich ihrer Lust hingeben, interessieren sich überhaupt nicht dafür, wie ein Gesichtsausdruck ist oder ob die Brüste irgendwie unvorteilhaft daliegen. Und das gilt auch für dich: Niemand schaut dir zu. Du musst also verinnerlichen, dass es total egal ist, wie du beim Sex aussiehst. Dein:e Partner:in begehrt dich sowieso.
Es gibt viele Ratgeber zum Thema Selbstliebe, zum Beispiel „Die Kraft der Selbstliebe“ von Sylvia Harke. Die Diplom-Psychologin verspricht im Untertitel: „Ganz bei sich ankommen – Vertrauen ins Leben finden – liebevolle Beziehungen führen“. Das klingt doch vielversprechend und könnte dir dabei helfen, den unerfüllbaren Perfektionsanspruch hinter dir zu lassen. Du kannst auch deine:n Partner:in in deine Sorgen einweihen – er:sie kann darauf liebevoll reagieren, beim Sex noch mehr auf dich eingehen und dir mit lieben Worten mitteilen, wie schön es mit dir ist und wie toll er:sie dich findet.
Sex als die intimste Form von Kommunikation
Betrachte Sexualität mal aus folgender Perspektive: Sie ist „die intimste Form von Kommunikation, die uns Menschen zur Verfügung steht“ und eine „intensive Möglichkeit, wechselseitig Grundbedürfnisse nach Akzeptanz, Verbundenheit und Intimität zu erfüllen“. So zumindest betrachtet der Sexualwissenschaftler und –psychologe Dr. Christoph Joseph Ahlers die Sexualität und fordert uns in seinem Buch „Vom Himmel auf Erden. Was Sexualität für uns bedeutet“ dazu auf, Sex neu zu denken.
Und wenn nun also gar nicht mehr die Erotik, die Sinnlichkeit und die Lust im Fokus stehen, sondern wir mit Sex unsere Verbundenheit ausdrücken möchten und er uns vor allem deshalb so wichtig ist, weil wir uns durch die gegenseitige Nähe akzeptiert fühlen, wirkt der Anspruch auf Perfektion und eine makellose Performance gleich irgendwie fehl am Platz, oder?